Krankenhausflur mit Pflegern die sich austauschen und einem Pfleger der ein leeres Bett schiebt.

Mit Schnabelbecher und Flamingo

Zukunftstag in der Pflegeschule der Kliniken des Landkreises

Syke – „Sie sehen übrigens ganz entzückend aus“, höre ich die Stimme. Martina Pleuß, der sie gehört, kann ich nicht sehen. Denn ich habe eine Maske vor den Augen. Rosa. Und mit Flamingos drauf. Gut, dass es davon keine Fotos gibt. Hoffentlich.

Es ist Zukunftstag in der Pflegeschule der Kliniken des Landkreis Diepholz.115 junge Erwachsene werden dort aktuell in Pflegeberufen ausgebildet. DieAzubis des zweiten Jahrgangs haben heute mal die Rollen getauscht: Sie sindGastgeber, Mentoren und Instruktoren für zusammen 17 Schüler aus denJahrgängen 5 bis 9 aus verschiedenen Schulen im Landkreis. In klassenüber-greifenden Arbeitsgruppen haben sich die Azubis fünf Stationen ausgedacht,an denen ihre jungen Besucher selbst erleben können, was ein Beruf im Pfle-gebereich alles sein kann und worauf es dabei eigentlich ankommt.


Eine davon ist so eine Art Sinnes-Parcours: Es geht dabei um die Arbeit mitBlinden. Die Schüler können dort am eigenen Leib probieren, wie es ist,wenn man geführt durch einen Flur geht und buchstäblich nicht die Handvor Augen sieht. Oder worauf es ankommt, wenn man umgekehrt selber ei-nen Blinden führen soll.


Wenn man nichts sehen kann, sind die anderen vier Sinne umso stärker ge-fordert, ist ein Gedanke, den diese Station verdeutlichen soll. Dazu habensich die Azubis einen Riech-, Tast- und Schmecktest ausgedacht. Den pro-biere ich gerne im Selbstversuch aus – daher die Flamingo-Maske, die ausunerklärlichen Gründen übrig war. Keiner der Jugendlichen wollte die aufset-zen. Seltsam.


„Vor Ihnen ist jetzt eine kleine Schüssel“, sagt eine der Auszubildenden zumir. Ich strecke die Hand aus: „Tiefer! Noch etwas...“ – Ah ja: Da ist der Rand.Ich soll rausfinden, was da drin ist. Es ist klein und hart. Die eine Seite istglatt und gibt unter Druck etwas nach, klebt dann auch ein kleines bisschen.Die andere ist hart und bröselig. „Ein Schoko-Keks?“ Richtig! Es riecht auchnach Schokolade. Und schmeckt auch so. Nacheinander ertaste und erriecheich Lavendel, Mandarinenstückchen, eine Zitrone und frische Minze. EineWaschmaschine hab ich trotzdem nicht gewonnen.


Ich darf den Flamingo wieder flattern lassen und bin ganz beeindruckt: AlsDauerheuverschnupfter rieche ich normalerweise nicht viel. Dachte ich immer.


Pflegeberufe sind unglaublich vielseitig und unterschiedlich, macht der Rundgang durch die Pflegeschule schnell klar. Im Nebenzimmer ist ein anderer Parcours aufgebaut, der die Schüler bewusst an ihre Grenzen bringen soll: Es geht darum, auf weichem, unwegsamen Grund wie Matten oder verknüllten Decken mit Rollstuhl, Rollator oder Gehbock voranzukommen. Martina Pleuß ist die Ausbildungsleiterin des zweiten Jahrgangs. „Unsere Schülerlassen wir auch mal mit Rollstuhl und Rollator zum Einkaufen in die Stadt gehen, damit sie das am eigenen Leib erfahren. Heute haben wir nicht die Zeit dazu, deshalb muss es diese Simulation hier tun.“


Denn alle Schüler durchlaufen in Gruppen alle Stationen. Und da warten noch Puls- und Blutdruck messen auf sie, Verbände wechseln und dabei alle Hygienemaßnahmen beachten, und schließlich die klassische Altenheim-S-tuation: anderen Menschen Essen und Trinken anreichen. Die Schüler üben wechselweise beides: den aktiven und den passiven Part.


Ein ganz schöner Aufwand, den die Pflegeschule da betreibt. „Wir machen das ganz bewusst“, sagt Florian Breitenstein. Er ist der Pflegedienstleiter der Kliniken des Landkreises. „Weil wir genauso vom Fachkräftemangel betrof fen sind wie alle anderen.“ Hier beim Zukunftstag will das Team um Pflegeschulleiterin Aenne Christensen die Weichen stellen, um möglichst früh junge Menschen für diese Laufbahn zu interessieren.

 

Artikel erschienen in der Kreiszeitung, Freitag, 28. April 2023, von Michael Walter